Foto Emily Almeida (Justiça Global)

Vom 26. bis 28. Juni 2024 trafen sich rund 100 Vertreter:innen von mehr als 20 traditionellen Gemeinschaften, Quilombolas und indigenen Völkern aus dem Bundesstaat Maranhão mit Vertreter:innen von Organisationen der brasilianischen Zivilgesellschaft, um über das Hafen- und Bahnprojekt GPM zu diskutieren, dass die Firma GPM auf der Insel Cajual mit einer anschliessenden 520 km langen Eisenbahnstrecke zwischen Alcântara und Açailândia errichten möchte, um Agrargüter und Bodenschätze zu exportieren. Besonders brisant: Die Deutsche-Bahn-Tochter DB E.C.O. Group hat im vergangenen Jahr ein Memorandum of Understanding zur Beteiligung an dem Projekt unterzeichnet. Die in São Luís versammelten Vertreter:innen der traditionellen Völker und Gemeinschaften und der Zivilgesellschaft erklären in einem abschliessenden Brief, gerichtet an die Deutsche Bahn: „Wir fragen also den Bundesstaat Maranhão, die brasilianische Bundesregierung und die deutsche Regierung, was ihnen das Recht gibt, unsere Leben, unsere Territorien, unsere Nahrungs- und Einkommensquellen, unsere Wälder, Flüsse, Mangroven und Strände, unsere Träume, unsere Kultur, unsere Spiritualität und unsere Gegenwart und Zukunft zu opfern, um ein privates Unternehmen zu begünstigen, das sich unsere verfassungsmäßigen Rechte aneignet?“

08.07.2024 | von Christian.russau@fdcl.org

Bei dem Treffen vom 26. bis 28. Juni 2024 in São Luís, Maranhão, diskutierten rund 100 Vertreter traditioneller, indigener und Quilombola-Gemeinschaften über die Bedrohung durch das private Logistikprojekt im Bundesstaat, das von dem Unternehmen Grão-Pará Maranhão (GPM) geplant wird. Einen ausführlichen Bericht zu dem Treffen hat das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo veröffentlicht.

An der Veranstaltung, die von der Anti-GPM-Artikulation organisiert wurde, nahmen Organisationen und Bewegungen wie Justiça nos Trilhos, CPT, CIMI, CPP, MABE, MOMTRA, MOQBEQ, MOQUIBOM, MAM, MST, CONFREM MA, UNICQUITA, Centro de formação Saberes Ka’apor, Fórum Carajás, Justiça Global, Fundação Rosa Luxemburgo, Articulação Internacional dos Atingidos e Atingidas pela Vale und Salve a Floresta teil. Anwesend waren zudem Wissenschaftler:innen sowie Vertreter:innen der zuständigen Bundesstaatsanwaltschaften und Pflichtverteidigerstellen des Bundes. Sowohl der Staatsanwalt als auch der föderale Pflichtverteidiger, die zu der Veranstaltung eingeladen waren, um über die rechtlichen Aspekte des Projekts zu sprechen, erklärten, dass jedem Projekt, das Quilombola, indigene oder traditionelle Gemeinschaften (wie Fischer, Flussbewohner:innen, Kokosnusssammler:innen u.a.) betreffen könnte, ein Prozess der freien, vorherigen und informierten Konsultation gemäß dem Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorausgehen muss. „Die Bewohner von Cajual haben sich kürzlich an das MPF gewandt, um mehr Informationen über das GPM-Projekt zu erhalten, und es war klar, dass sie absolut nichts über das Projekt wissen“, sagte der Bundesstaatsanwalt vom MPF. Ihm zufolge wurde diese gesetzlich vorgeschriebene freie, vorherige und informierte Konsultation der Betroffenen nicht durchgeführt. Zudem erinnerte das MPF daran, dass nicht nur die Bevölkerung der Insel Cajual das Recht habe, gehört zu werden. „Alle Gemeinden von Alcântara müssen gemäß der ILO-Konvention 169 konsultiert werden, da sie sich im direkten Einzugsbereich des Hafens befinden. Das Gleiche gelte für die Quilombolas, indigene und andere traditionelle Völker, die von der Bahnlinie bedroht seien, erklärten die Anwälte. Die Pflicht zur freien, vorherigen und informierten Konsultation der von dem GPM-Projekt betroffenen traditionellen Völker und Gemeinschaften reicht also von Cajual und Alcântara bis nach Açailândia.

Der anwesende Vertreter der Bundesstaatsanwaltschaft MPF wies dem Bericht der Rosa-Luxemburg-Stiftung zufolge darauf hin, dass das Unternehmen GPM vor kurzem angekündigt habe, dass es die Genehmigung für das Projekt beim Sekretariat für Umwelt und natürliche Ressourcen des Bundesstaates Maranhão (SEMA) beantragen werde und nicht mehr bei der eigentlich zuständigen Bundesbehörde Ibama, die bis Ende letzten Jahres das Verfahren durchführte. Laut Dokumenten, zu denen Articulação Anti-GPM Zugang hatte, erstellte das Ibama im Jahr 2022 eine Leistungsbeschreibung mit den Kriterien für die Durchführung der Umweltverträglichkeitsstudie für den Hafen und die Eisenbahn, wobei davon ausgegangen wurde, dass das Projekt eine einzige Genehmigung (das Projekt also als ganzes zu analysieren sei) benötigen würde. Ende 2023 erklärte die Firma GPM jedoch, das Verfahren mit der Bundesbehörde IBAMA auf Eis zu legen. Die von der Anti-GPM-Artikulation dazu befragte Bundesanwaltschaft erklärte, sie habe die Landesbhörde SEMA aufgefordert, zu klären, ob es ein Lizenzierungsverfahren mit dem Sekretariat gibt, was bestätigt wurde. Mit anderen Worten: Laut Staatsanwalt Hilton Melo bedeutet die jüngste Erklärung von GPM gegenüber dem MPF, dass das Unternehmen tatsächlich beabsichtige, das Projekt mit der Landesbehörde SEMA zu lizenzieren. „Dies wird von der Staatsanwaltschaft analysiert werden. Was ich sagen kann, ist, dass die Vermessung des Gebiets, das in der Umweltverträglichkeitsstudie bewertet werden soll, und das Recht auf die vorherige Konsultation von der Bundesregierung durchgeführt werden müssen. Wir werden verstehen, was der Projektträger wo zu genehmigen beabsichtigt, so dass wir geeignete rechtliche Maßnahmen ergreifen können“, erklärt der Staatsanwalt laut dem Bericht der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Sollte die Umweltfolgenstudie weg vom Bund hin zum Land übertragen werden, befürchten die Aktivist:innen eine unternehmensfreundlichere Begutachtung des Projekts angesichts des massiven wirtschaftlichen Interesses, das im Bundesstaat Maranhão an dem Projekt besteht. Denn eine von der Bundesuniversität Maranhão (UFMA) durchgeführte Studie über die wirtschaftlichen Auswirkungen schätzt, dass das Projekt das Potenzial habe, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Bundesstaates Maranhão um bis zu 20 Prozent zu erhöhen. So wird der politische Druck verständlich, der seitens der das Projekt Befürwortenden aufgebaut wird, wenn mit beeindruckenden makroökonomischen Projektionen allzu schnell die menschenrechtlichen Verpflichtungen für die lokal betroffenen Bevölkerung im Tausch gegen Wirtschaftswachstum vergessen werden. Hinzu kommt eine etwas kurios anmutende Anekdote, die ein etwas zwielichtiges Licht auf die Interessen des Sekretariat für wirtschaftliche Entwicklung und strategische Programme des Bundesstaates Maranhão wirft: am Vorabend einer in Berlin stattfindenden Veranstaltung zum Thema, erreichte die veranstaltenden Organisationen ein von jenem Landessekretariat für wirtschaftliche Entwicklung erstelltes Dokument mit Briefkopf – aber merkwürdigerweise auf Deutsch und nicht namentlich unterzeichnet -, in dem den an der Berliner Veranstaltung und an dem für den Tag darauf angekündigten Protest vor der DB-Zentrale beteiligten Organisationen vorgeworfen wurde, dass „die Behauptungen der Organisationen (JnT und andere), die zu einer möglichen Demonstration am 30. Mai in Berlin aufrufen, unangebracht sind“ (Originalbrief liegt KoBra vor). JnT und weitere Organisationen des Anti-GPM-Widerstands forderten daraufhin offizielle Erklärungen seitens der Landesregierung von Maranhão.

Angesichts dieser ganzen Situation haben die Teilnehmer des Seminars „Auswirkungen des Projekts Grão Pará Maranhão: Hafenterminal Alcântara und Eisenbahn EF-317“ beschlossen, den Widerstand gegen das Hafen-Eisenbahn-Projekt zu verstärken und dessen sofortige Absage zu fordern. „Wir werden die politische Aktion mit den bedrohten Gemeinden und die juristische Aktion mit den zuständigen Stellen verstärken. Was uns betrifft, wird das Projekt Grão Pará Maranhão nicht in unserem Bundesstaat installiert“, erklärte Mikaell Carvalho, Koordinator der Organisation Justiça nos Trilhos.

In dem Brief der Seminarteilnehmenden, gerichtet an die Deutsche Bahn, der KoBra vorliegt, wird abschliessend erklärt:
„Wir fragen also den Bundesstaat Maranhão, die brasilianische Bundesregierung und die deutsche Regierung, was ihnen das Recht gibt, unsere Leben, unsere Territorien, unsere Nahrungs- und Einkommensquellen, unsere Wälder, Flüsse, Mangroven und Strände, unsere Träume, unsere Kultur, unsere Spiritualität und unsere Gegenwart und Zukunft zu opfern, um ein privates Unternehmen zu begünstigen, das sich unsere verfassungsmäßigen Rechte aneignet?
Wir fordern, dass die Bundesregierung, anstatt uns zu bedrohen, über die zuständigen Stellen die indigenen Gebiete von Taquaritiua und die Quilombolas von Alcântara sowie alle anderen Gebiete, die auf den verfassungsmäßigen Schutz durch den Staat warten, regularisiert und abgrenzt.
Das Soja, der Mais, das Erz und sogar die Energie, die GPM nach eigenen Angaben auf ihren Zügen transportieren und über ihren Hafen exportieren will, gehören nicht uns, und sie kommen uns auch nicht zugute. Sie stammen von anderen Unternehmen, die den Bundesstaat Maranhão zu einem Rekordhalter für Morde, Konflikte und Gewalt auf dem Land gemacht haben.
Darum sagen wir nein, das Projekt GPM ist nicht tragfähig! Die Zerstörung unserer Existenzen ist nicht akzeptabel! Die Verletzung unserer Rechte, der nationalen Gesetze, der Bundesverfassung und der ILO-Konvention 169 werden wir nicht zulassen.
Das haben wir bei unserem Treffen festgestellt, und das teilen wir hiermit öffentlich mit: Für die Achtung unserer Rechte, unserer Territorien und unserer Existenzen fordern wir die Einstellung des Projekts GPM. Aus diesen Gründen sind wir entschlossen, zu kämpfen.“